Zwei Jahre aus zwei Perspektiven: „Eine großartige SHoW!“

Der Oktober 2022 markiert die Halbzeit bei LBG-SHoW, der Ludwig Boltzmann Forschungsgruppe für Alterung und Wundheilung. Ein guter Zeitpunkt also, um auf die bisherige Laufzeit des Projekts zurückzuschauen und gleichzeitig einen Blick in die Zukunft zu werfen. Im Rahmen dieses Interviews lassen die beiden Co-Direktoren von SHoW, Heinz Redl und Raffael Himmelsbach, die vergangenen beiden Jahre Revue passieren. Sie teilen die größeren und kleineren Erfolge der Forschungsgruppe mit uns, geben Auskunft über die gemeinsame Teamleitung und formulieren Zukunftswünsche.

Wir blicken mit euch beiden zurück auf zwei Jahre SHoW. Wie war es, so eine unkonventionelle Gruppe zu starten und dann gemeinsam zu leiten?

Heinz Redl (HR): Für mich waren die letzten zwei Jahre eine großartige SHoW! Die Forschungsgruppe hat sich genauso spannend entwickelt, wie wir es ursprünglich angedacht hatten. Ich bin dankbar, dass wir so ein wunderbares Team* gewinnen konnten – schon angefangen mit dir, Raffael. Und das, obwohl wir große Herausforderungen zu bewältigen hatten. Die Gründung von SHoW lag ja mitten in der COVID-19-Pandemie und wir mussten die Gespräche mit allen Teammitgliedern online führen. Das war neu und ungewohnt, aber sehr erfolgreich. Besonders schön ist auch, dass wir für den biomedizinischen Teil des Teams mit Mikolaj und Nadja genau jene zwei Personen anstellen konnten, die wir für die Leitung haben wollten.  

Und deine Eindrücke von den bisherigen zwei Jahre von SHoW, Raffael? 

Raffael Himmelsbach (RH): Ich schließe mich Heinz ganz an, SHoW hat sich wirklich schön entwickelt. Wir hatten eine Startphase. Die ersten Monate habe ich am Open Innovation in Science Center der Ludwig Boltzmann Gesellschaft (LBG) gearbeitet. Im Sommer 2020 bin ich dann in unser Büro im 7. Stock des AUVA-Traumazentrums Wien (Anm. Standort Lorenz Böhler) eingezogen.  

HR: Du hast dich hier gut eingerichtet. 

RH: Ja, vor dem Einzug war das Büro ein improvisiertes Sitzungszimmer und auch eine Abstellkammer für das Ludwig Boltzmann Institut (LBI) für Traumatologie. Es hat sich seit unserem Start eindeutig verändert, würde ich sagen. Wie Heinz vorhin erwähnt hat, der Aufbau des Teams hat die ersten Monate stark geprägt. Da hat es viel an Abstimmung gebraucht, viele gemeinsame Gespräche und Entscheidungen – also wen suchen wir, wie suchen wir, usw. Wir haben Mikolaj dabei unterstützt, das biomedizinische Team gut aufzustellen und haben das mit Nadja, Razieh, Helene, Karla, Barbara und Tomaž auch eindeutig erreicht.  

Noch einmal zurück zum zweiten Teil der Frage, der gemeinsamen Leitung der Gruppe: Ihr kommt aus zwei verschiedenen Richtungen und teilt euch das Management von SHoW. Wie legt ihr das an? 

HR: Ich sehe das als ein wunderbares Ping-Pong-Spiel. Das funktioniert aus meiner Sicht sehr gut. 

RH: Ja, Ping-Pong ist ein guter Begriff. Wir arbeiten nicht immer zeitgleich und zusammen an etwas. Fragen, die etwa das Team betreffen, diskutieren wir klarerweise miteinander. Manche administrativen Aufgaben müssen umgesetzt werden, weil es von Seiten der Ludwig Boltzmann Gesellschaft (LBG) vorgegeben ist. Da braucht es auch keine Abstimmung. Inhaltlich hat aber jeder von uns seinen Spielraum. 

Zwei Jahre sind, rückblickend und vor allem im Kontext von Forschung und Entwicklung, nicht allzu lange. Was hat die Forschungsgruppe in diesen beiden Jahren schon alles erreicht?  

RH: Wir haben im Schatten von COVID-19 gestartet und konnten trotzdem ein gutes Team zusammenstellen. Alleine das sehe ich schon als Erfolg. Dann gibt es natürlich unterschiedliche kleine und größere Höhepunkte. Für mich sind das etwa die Veröffentlichung des “Wundberichts” und die Vernetzung mit Menschen, die beruflich oder privat mit Wunden zu tun haben. Dank Connys und Deborahs aktiver Netzwerkarbeit kommen Akteur:innen aus dem Wundbereich mittlerweile von sich aus auf uns zu. Marie zu uns ins Team zu holen, hat viele neue Blickwinkel in die Arbeit von SHoW gebracht. Über die Erfolge des biomedizinischen Teils der Forschungsgruppe zu reden, überlasse ich gerne dir, Heinz.  

HR: Ein großes Highlight für mich ist schon die Tatsache, dass wir in diesen zwei Jahren zeigen konnten, dass wir unsere ursprünglichen Ideen für die Gruppe auch tatsächlich verwirklichen konnten und weiterhin können. Da hat es durchaus Zweifel gegeben. Hervorheben möchte ich auf jeden Fall unsere Publikation zu dieser vorher unbekannten Aktivierungszone um eine Wunde, die rasch erscheint, dann bis zu Heilung vorhanden ist und schließlich wieder verschwindet. Von “der Zone”, wie wir sie nennen, versprechen wir uns viel. Bei den vaskularisierten Hautäquivalenten gibt es ebenfalls sehr schöne Fortschritte. Dadurch konnten wir in den anderen Projekten schon jetzt auf viele Tiermodelle verzichten. 

Worin liegen die Herausforderungen in der multidisziplinären Zusammenarbeit?  

RH: Es ist ein Lernprozess. Als administrativer Direktor bin ich für ein Team verantwortlich, das sich unter anderem aus Leuten zusammensetzt, in deren Fach ich kein Experte bin. Natürlich führt das auch zu Diskussionen, wenn zum Teil unterschiedliche Arbeitskulturen aufeinandertreffen. Es ist ein ständiges Lernen und eine laufende Überprüfung, wo die eigenen Vorstellungen passen und wo sie ihre Grenzen haben.  In der Zusammenarbeit habe ich neu gesehen, wie wichtig das Tauschen in der Biowissenschaft ist. Verschiedene Forschungsgruppen bauen Netzwerke auf, indem sie Proben, methodische Kompetenzen und Zugang zu Infrastruktur miteinander austauschen. Wie wichtig das für die Produktivität ist, war mir so nicht bewusst.

HR: Die größte Herausforderung für mich war anfangs vor allem, dass ich Sozialwissenschaftler:innen und damit Menschen aus einer ganz anderen Fachrichtung über längere Zeit hinweg zuhören und gleichzeitig akzeptieren musste, dass ich nicht alles gleich verstehe. Da gibt es natürlich viele eigene Begriffe und Wörter.  

Aber die hat doch die Biomedizin auch?  

HR: Klar, jede Forschungsrichtung hat ihren Fachjargon. So nahe zusammenzuarbeiten ist für mich aber schon ungewöhnlich und dadurch auch besonders spannend. Ich setze mich ja immer gerne mit etwas Neuem auseinander und freue mich, wenn ich dabei etwas dazulerne. 

RH: SHoW hat ein eigenes Bingo mit Abkürzungen, die wir innerhalb der Gruppe oft verwenden. Das haben wir halb zum Spaß, halb im Ernst entworfen.

HR: Da ist wiederum die Biomedizin besonders schlimm. 

RH: Ich sehe es als Teil unserer Aufgabe, bei Teammeetings immer wieder nachzufragen, was genau ein Begriff, eine Definition oder eine Abkürzung bedeutet. Besonders während der Arbeit an einer Dissertation ist man im höchsten Grad fokussiert und der Blick über den eigenen Tellerrand ist dann nicht einfach.

HR: Die Dinge sollten so aufbereitet werden, dass sie für alle anderen im Team verständlich sind. Wir bewegen uns ja in einem wirklich extrem interdisziplinären Rahmen. 

 Was hat die Zusammenarbeit zwischen Biomedizin und Sozialwissenschaft bei euch angeregt? Sind dadurch neue Ideen entstanden? 

RH: Einige Mitglieder des Teams arbeiten gemeinsam an einem Perspektivenartikel zum Thema Krebs und Wundheilung. Diese beiden Themenkomplexe werden immer wieder zusammen diskutiert. Wir gehen der Frage nach, warum Krebs und Wundheilung miteinander in Kontext gesetzt werden und was sich daraus für die Wundforschung ableiten lässt. Schon der Prozess, bis alle von denselben Begriffen sprechen und sich ein Verständnis für die Sichtweise der anderen Disziplin entwickelt hat, ist spannend und herausfordernd gleichzeitig. Ich hoffe, dass wir die Fähigkeiten, die wir uns im Laufe der gemeinsamen Schreibarbeit aneignen, dann auch für ein weiteres Thema nutzen können. In der Forschung fehlen etwa teilweise klare Definitionen, wie zum Beispiel was genau unter einer Wundheilungsstörung zu verstehen ist. Hier reden Wissenschaftler:innen nicht immer über ganz dasselbe. 

HR: Deswegen veranstalten wir im Juni 2023 die Wiggers-Konferenz in Wien. Dort möchten wir für die biomedizinische Forschung eindeutige Definitionen für verschiedene grundlegende Begriffe erarbeiten. Seneszenz ist in aller Munde, dabei ist nicht genau definiert, wann eine Zelle als seneszent angesehen werden kann und wann nicht. Es freut uns sehr, dass wir für diese Konferenz schon die Zusage von vielen maßgeblichen Wissenschaftler:innen aus unserem Bereich haben. 

RH: Da denken wir eindeutig gleich, Heinz. Ich bin im Team auch schon als „Definitionspolizist” unterwegs gewesen und habe darauf hingewiesen, dass wir in puncto Terminologie sehr genau sein müssen.

a. Wenn die zwei Co-Direktoren von LBG-SHoW auf die ersten beiden Jahre des gemeinsam geleiteten Projekts zurückschauen – dann haben sie einiges zu erzählen (Foto: LBG/Moritz Nachtschatt).

Das gemeinsame Arbeiten im Team von SHoW ist vieles, eines aber bestimmt nicht: langweilig (Foto: Raffael Himmelsbach).

Was hat das Team von SHoW in den nächsten zwei Jahren, bis zum Ende der Projektlaufzeit, noch alles vor?  

RH: Ein Ziel von Deborah und Marie ist es, eine konkrete Intervention zu entwickeln und in der Praxis zu testen. Sie soll Menschen mit chronischen Wunden dazu bringen, rascher Hilfe zu suchen und ihnen so Zugang zu einer passenden medizinischen Behandlung verschaffen. Ein weiteres Ziel ist, dass Deborah ihre Dissertation zum Potenzial des „Value-Based Healthcare“-Ansatzes für den Wundbereich erfolgreich abschließt. Darin geht es um gesundheitspolitische Aspekte der Versorgung bzw. der Wundheilung. Deborah nutzt dafür das Erfahrungswissen von Patient:innen, Familienmitgliedern, Gesundheitspersonal und Pflegekräften. Conny und ich sind dabei, unser Verständnis zur Versorgungslage zu verbessern. Wir arbeiten an einer Schätzung zur Prävalenz von chronischen Wunden in Österreich sowie den damit verbundenen Gesundheitskosten. Heinz und ich möchten auch bis zum Ende der Projektlaufzeit ein Symposium veranstalten, das beide Teile von SHoW abbildet.

HR: Im biomedizinischen Teil der Forschungsgruppe haben wir mit Helene, Tomaž und Karla drei Dissertant:innen. Sie haben alle schon sehr viele gute Daten und die Experimente laufen. Ich bin überzeugt, dass sie ihre Projekte erfolgreich abschließen werden. Wir reichen außerdem gerade einige Grants ein, damit wir über die kommenden beiden Jahre hinaus weitermachen können. Da sind von unserer Seite sicher auch interessante Themen für das LBI für Traumatologie dabei und ich bin sehr zuversichtlich, dass wir unsere Arbeit fortsetzen können. 

SHoW basiert auf dem Ansatz von Open Innovation in Science. Wie bildet sich das in der Arbeit der Forschungsgruppe ab?   

RH: In der Gründungsphase von SHoW haben wir vor allem die Agenda der biomedizinischen Forschung konkretisiert. Wie Personen mit chronischen Wunden und ihre Erfahrungen in unsere Forschungstätigkeit eingebunden werden könnten, war noch weitgehend offen. Da mussten wir uns erst einmal orientieren. Dafür haben wir dann den “Wundbericht” geschrieben. Mittlerweile gibt es eine Kooperation mit Barbara Prainsack von der Universität Wien. Das ist Deborahs Dissertationsprojekt. Außerdem sind Menschen mit chronischen Wunden in Österreich nicht organisiert. Dieses Krankheitsbild stigmatisiert ja sehr. Zusammen mit der Community erarbeiten wir daher Ansätze für eine verbesserte Versorgung. In diesem Sinn bedeutet Open Innovation in Science für uns, dass wir die Erfahrungen der Betroffenen dokumentieren und in Innovationsprozesse aufnehmen. Bei SHoW sprechen wir hier von Co-Creation.   

HR: Außerdem habt ihr für den “Wundbericht” das erste Mal seit 2015 Daten über Wunden in Österreich erhoben, ausgewertet und aufbereitet. Das möchte ich an dieser Stelle noch einmal hervorheben. Open Innovation bildet sich bei uns im biomedizinischen Bereich zum Beispiel im Dissertationsprojekt von Tomaž ab. Er ist dabei, eine Datenbank mit RNA-Sequenzierungen aus Hautzellen aufzubauen. An der RNA lässt sich ablesen, welche Abschnitte des genetischen Materials gerade “abgeschrieben” und in Proteine übersetzt werden. Die Datenbank soll dann frei im Internet zugänglich sein, damit andere Forscher:innen damit arbeiten können. Offen mit schon vorhandenen Daten umzugehen, erleichtert in der Wissenschaft einiges. Mikolaj hat es geschafft, dass wir innerhalb kurzer Zeit viele internationale Kooperationspartner gewinnen konnten. Dadurch bekommen wir Proben und Material für unsere Arbeit in den Labors und es ist auch großartig zu sehen, dass diese Forschungsgruppen mit uns zusammenarbeiten wollen. 

Jetzt leuchten deine Augen, Heinz, oder?  

HR: Ja, weil Forschung einfach jeden Tag ungemein spannend ist. 

Weihnachten kommt bald: Wenn ihr euch für die Forschungsgruppe bzw. den Forschungsbereich etwas wünschen könntet, was wäre das?   

RH: Ich wünsche mir, dass wir im Dezember in die Weihnachtspause gehen können und dass alle unsere Pläne am Boden sind. Das heißt, dass es dafür konkrete Verträge und Vereinbarungen gibt. Dann können wir gut in das nächste Jahr starten. Diese Gewissheit wäre schön. 

Hast du auch einen Wunsch für den Forschungsbereich? 

RH: Dass das Thema Ernährung im Zusammenhang mit chronischen Wunden stärker in unseren Fokus rückt. Aus der Praxis und Literatur wissen wir, dass sich viele ältere Menschen nicht gut ernähren, dass sie zum Teil mangel- oder unterernährt sind. Das wirkt sich auch auf die Wundheilung aus. Dieses Thema würde sich gut für einen partizipativen Ansatz eigenen, denn Ernährung ist beides – eine Expertenfrage und zugleich ein fixer Bestandteil unseres Alltags und unserer Erlebniswelt.

Was wünscht du dir, Heinz?  

HR: Ich verstehe das als einen Wunsch ans Christkind und sage daher: Ein neues Forschungsgebäude, vor allem auch für SHoW. Es war eine Herausforderung, dass wir alle hier am LBI für Traumatologie Platz finden konnten. Dafür möchte ich an dieser Stelle besonders Johannes Grillari, dem Leiter des Instituts, danken. Er bringt sich auch inhaltlich in unsere Forschungsfragen ein und unterstützt SHoW tatkräftig. 

Und für den biomedizinischen Forschungsbereich? 

HR: Dass wir möglichst multidisziplinär weiterarbeiten können. 

Herzlichen Dank für das Gespräch! 

* Nicht im Interview erwähnt, aber für das Team genauso wichtig: Ohne die umsichtige Administration von Susi Windwarder würde der Alltag bei SHoW nicht funktionieren. Veronika Hruschka managt die Forschungsarbeit im Projekt und hat die Gruppe mitgegründet. Edeltraud Günthör macht Öffentlichkeitsarbeit für die Forschungsgruppe und ist auch in der Wissenschaftskommunikation aktiv. Zusammen mit Conny Schneider hat sie dieses Interview geführt.

31.10.2022